19.05.2025

Jaguar läuft Gefahr, die eigene Seele zu verlieren

Weniger als sechs Monate nach dem Start einer neuen visuellen Identität überdenkt Jaguar seine kreative Ausrichtung. Ein Kurswechsel, der Fragen aufwirft: zur Kohärenz der Strategie, zu den Reaktionen des Marktes und zum Wert des Markenerbes – mitten in einer elektrischen und kulturellen Transformation.

Von Giuseppe Loffredo

Jaguar ist nicht einfach eine Marke. Es ist ein Lebensstil. Es ist Leder und Stille. Es ist das tiefe Grollen, das eine Kurve begleitet, die elegante Silhouette einer Limousine, die auf einer nebligen Landstrasse dahinzieht. Es ist der Duft von Holz, gezügelte Geschwindigkeit, Klasse ohne Lautstärke. 

Über Jahrzehnte hinweg verkörperte Jaguar die Idee vom Automobil als sinnliche und symbolische Erfahrung – mehr noch als Produkt. Heute steht dieses Symbol vor einem tiefgreifenden Wandel. Ein Wandel, der einerseits in die Zukunft weist, andererseits aber auch das Risiko birgt, das zu verlieren, was Jaguar zu einer weltweit geschätzten Marke gemacht hat. 

Im November 2024 präsentierte Jaguar eine neue visuelle Identität. Anstelle des ikonischen «Growlers» – dem fauchenden Jaguar-Kopf – trat ein minimalistisches Logo: ein geometrisch-stilisiertes «J». Der dazugehörige Werbespot verzichtete vollständig auf Fahrzeugbilder und setzte auf eine abstrakte Bildsprache mit kräftigen Farben, konzeptuellen Slogans und androgynen Models. 

Die Botschaft war klar: Jaguar soll sich in eine neue Dimension entwickeln – als elektrische, nachhaltige, globale Marke. Eine Art «New Luxury», losgelöst von der Vergangenheit. Doch für viele Beobachter hinterliess dieser radikale Wandel Leerraum. Die Autos waren verschwunden, ebenso wie die klassischen Assoziationen. Jaguar war nicht mehr das, was Kundinnen und Liebhaber erinnerte – zumindest nicht in deren Wahrnehmung.

Auch wenn interne Quellen betonen, die Überprüfung der Kreativabteilung habe nichts mit der jüngsten Kampagne zu tun, wirft die zeitliche Nähe Fragen auf. Die Entscheidung von JLR, die derzeit bis Mitte 2026 laufende Zusammenarbeit mit «Accenture Song» zu überdenken, lässt den Wunsch erkennen, sich rückzuversichern – und womöglich das Jaguar-Erbe wieder stärker ins Zentrum zu rücken. Ganz im Sinne des lateinischen Sprichworts: «Errare humanum est, perseverare diabolicum». (Irren ist menschlich, aber im Irrtum zu verharren ist teuflisch)

Der Mutterkonzern JLR – zu dem auch Range Rover und Defender gehören – scheint sich für einen klaren Schnitt entschieden zu haben: Schluss mit «Accenture Song». Ziel ist ein Neuanfang. Der rote Faden soll wieder aufgenommen, die Sprache neu gedacht werden – ohne die Transformation grundsätzlich in Frage zu stellen. 

Einige Kommentatoren sprechen von einem «ideologischen Rebranding». Andere schlicht von einem Positionierungsfehler. Doch im Kern geht es um eine tiefere Frage: Wann bleibt eine Marke sich selbst treu – auch wenn sie sich neu erfindet?

Jaguar hat versucht, eine neue Generation von Kundinnen und Kunden anzusprechen, dabei aber die Brücke zur eigenen Vergangenheit gekappt. Das Gleichgewicht zwischen Innovation und Markenkohärenz ist fragil – und hat in diesem Fall nicht gehalten. 

CEO Rawdon Glover verteidigte die Vision und beklagte eine feindselige, polarisierte Reaktion. Doch Polarisierung ist oft ein Zeichen dafür, dass eine Marke etwas vermitteln will, das das Publikum (noch) nicht bereit ist zu akzeptieren. Sich damit herauszureden, man sei nur für das Gesagte, nicht für das Verstandene verantwortlich, wirkt juristisch – aber im Marketing fehl am Platz. 

Glovers Haltung hat die Situation nicht entschärft. Die Umstellung auf Elektromobilität ist unausweichlich – aber teuer, langsam und risikobehaftet.1922 gegründet als Swallow Sidecar Company, hat Jaguar Zeiten, Kriege und technische Revolutionen überstanden. Der Name wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst gewählt, um sich vom Kürzel S.S. zu distanzieren. Jaguar baute die XK120, die E-Type, die XJ – Fahrzeuge mit Ikonenstatus. 

Seit 2008 gehört die Marke zur indischen Tata Motors, die gezielt in eine elektrische Zukunft investiert. Eine strategisch langfristige Entscheidung. Doch sie stellt heute eine zentrale Frage: Ist Innovation möglich, ohne die Herkunft zu vergessen? Jaguar sucht aktuell eine neue Kreativagentur. 

Für 2026 sind drei Elektro-Modelle geplant. Das Concept Car Type 00, vorgestellt an der Art Week in Miami, verspricht 770 km Reichweite und ultraschnelles Laden. Doch neben Technik braucht es nun eine neue Erzählung – eine, die nicht verleugnet, sondern weiterentwickelt. Denn Jaguar ist mehr als ein Auto. Es ist Atmosphäre, Haltung, Empfindung. Es ist dieses ganz bestimmte Gefühl, wenn man in ein lautloses, makelloses Coupé einsteigt – ohne Aufdringlichkeit. Es ist Form und Inhalt zugleich. Und in einer Branche, in der sich alles rasch verändert, sind es gerade diese immateriellen Werte, die den Unterschied machen. Das Grollen darf elektrisch werden – aber es muss erkennbar bleiben.

 

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